Viele Schüler:innen sind bereit zu lernen – solange sie den Sinn dahinter erkennen. Doch sobald Noten und Zertifikate in den Vordergrund rücken, wird Künstliche Intelligenz schnell zur Abkürzung statt zur Lernhilfe. Was bedeutet das für den Unterricht? Und wie können wir Räume schaffen, in denen echtes Lernen mehr zählt als die nächste Note?
In einem Artikel von John Naughton bin ich kürzlich über einen Gedanken gestolpert, der mir einen Aha-Moment verschafft hat: Universitäten – und ich möchte behaupten: auch Schulen – sind zu einem erheblichen Teil darauf ausgerichtet, „Credentials“ zu vergeben. Also Zertifikate, Noten, Zeugnisse. Das ist das, was aus Sicht von Eltern, Lehrer:innen, Schüler:innen, „der Gesellschaft“, am Ende zählt. Und genau an dieser Stelle wird es interessant, wenn wir über den Einsatz von KI im Unterricht sprechen.
Meine These: Wenn wir als Schule den Fokus zu sehr auf das Zertifikat legen, werden Schüler:innen KI sehr schnell als „Abkürzung“ und willkommenen Helfer auf dem Weg zum gewünschten „Zertifikat“ verwenden. Das Lernen rückt im Vergleich dazu immer in den Hintergrund.
Lernbereitschaft
Ich erlebe im Alltag, dass viele Schüler:innen durchaus bereit sind, sich auf das Lernen einzulassen – vorausgesetzt, sie verstehen, warum es sich lohnt. Ich versuche, ihnen zu zeigen, wie bereichernd es sein kann, Dinge zu verstehen, Zusammenhänge zu erkennen oder sich durch Literatur in andere Menschen hineinzuversetzen. Ich hoffe immer, dass meine eigene Begeisterung für diese Momente ansteckend wirkt.
Sobald es allerdings um Noten geht, kommt die Versuchung, KI als „Shortcut“ zu nutzen, sehr schnell ins Spiel. Besonders dann, wenn die Aufgabenlast als hoch empfunden wird, der Zeitplan eng ist oder die Inhalte schwierig erscheinen. Die Notwendigkeit, eine gute Note zu bekommen wird dann zum Hauptmotiv. KI wird nicht als Lernhilfe, sondern als Abkürzung genutzt. Das ist verständlich, aber eben auch bedauerlich.
Es ist dabei aus meiner Sicht unerheblich, ob ich als Lehrer das Gefühl habe, meine Anforderungen seien gerechtfertigt oder „normal“. Entscheidend ist, wie diese Anforderungen von den Schüler:innen empfunden werden – und zwar im Kontext aller Anforderungen, die Schule und Alltag an sie stellen. Die gefühlte Realität ist für eine Person die Realität. Das zeigen auch Studien zu sozio-emotionalen Schulerfahrungen: Emotionen und subjektive Wahrnehmungen prägen maßgeblich, wie Schüler:innen Schule erleben und wie sie auf Anforderungen reagieren. Es bringt also wenig, mich darüber zu ärgern, dass Schüler:innen vermeintlich weniger leistungsbereit sind. Ich werde sie dadurch nicht dazu bekommen, leistungsbereiter zu werden. Stattdessen muss ich Vertrauen aufbauen, damit sie bereit sind, mir zuzuhören. Dann kann ich erklären, warum meine Anforderungen so sind, wie sie sind – und darauf hoffen, dass sie „mitgehen“ und sich, mit meiner Begleitung, anstrengen – in dem Bewusstsein, das für sich selbst zu tun.
Umgang mit KI-„Betrug“
Wenn ich merke, dass Schüler:innen mit KI „betrogen“ haben – ich schreibe das bewusst in Anführungszeichen – bin ich oft erst einmal frustriert. Ich versuche, dieses Gefühl zuzulassen, ihm aber nicht zu viel Raum zu geben. Stattdessen schildere ich den Schüler:innen, was mich ärgert: Dass ich mir gewünscht hätte, sie hätten die Aufgabe als Lernchance gesehen. Und dass ich mich auch frage, ob ich die Aufgabenstellung nicht besser hätte gestalten können, sodass „Betrug“ gar nicht erst attraktiv erscheint. Danach höre ich zu, um zu verstehen, was sie zu diesem Schritt bewegt hat.
Was ich aus diesen Gesprächen mitnehme: Die Versuchung, KI als Abkürzung zu nutzen, ist oft ein Symptom für Überforderung, Zeitdruck oder das Gefühl, dass zu viel auf dem Spiel steht. Es ist selten Faulheit oder Desinteresse am Lernen selbst. Vielmehr zeigt sich hier, wie stark das System auf das Zertifikat ausgerichtet ist – und wie wenig Raum manchmal für echtes Lernen bleibt.
Was können wir tun?
Ich frage mich: Wie können wir als Schule Räume schaffen, in denen das Lernen im Mittelpunkt steht und das Zertifikat nur ein Nebenprodukt ist? Wie können wir Aufgaben so gestalten, dass sie zum Nachdenken und Verstehen einladen – und nicht nur zum schnellen Erledigen? Und wie können wir gemeinsam mit den Schüler:innen einen Umgang mit KI finden, der sie tatsächlich beim Lernen unterstützt?

Danke für Deinen Beitrag zu diesem wichtigen Thema. Ich stimme Dir zu, dass Bildungseinrichtungen leider „verlernt“ zu scheinen haben welchen Auftrag sie für die Gesellschaft erfüllen sollten. Aus meiner eigenen Erfahrung als Studierender und aus der Lehre an einer Hochschule kann ich bestätigen, dass es oft nur um den nächsten Schein – also die bestandene Prüfung in einem Modul und die damit erworbenen Credit points geht – und Abkürzungen dadurch attraktiv erscheinen.
Während meines Studiums gab es noch keine frei verfügbaren und leistungsfähigen LLMs, da ging es dann eher um Alt-Klausuren, gelöste Aufgaben und Leaks, aber das Prinzip der Abkürzung und der ausbleibenden Beschäftigung mit dem Stoff ist gleich. Viele Studierende fühlen sich gezwungen in Regelstudienzeit abschließen zu müssen und werden systematisch (bspw. durch oberflächliche Prüfungen und großzügige Erlaubnis von Hilfsmittel) dazu ermutigt. Der Hintergrund sind Prämien für Absolventen, die nach Regelstudienzeit als junge (und beeinflussbare/formbare) Fachkräfte der Privatwirtschaft zur Verfügung stehen sollen.
Ich habe mein Studium absichtlich nicht in Regelstudienzeit absolviert und die Auszeit von der Industrie – Ich habe vor dem Studium als gelernter Fachinformatiker gearbeitet – genutzt, um das System Hochschule mit Gremien wie Senat, Prüfungsausschuss, AStA usw. aus erster Hand und durch Engagement darin kennen zu lernen. Dadurch konnte ich Einblicke in die Finanzierungsmodelle bekommen, die Abhängigkeiten von der Industrie erkennen und den schwindenden Willen Forschung und Lehre als Bildungsauftrag zu verstehen sehen.
Bei mir persönlich kam noch hinzu, dass ich mit einem Linux Betriebssystem und Freier Software gearbeitet habe und dachte in einer öffentlichen Bildungseinrichtung würde die Verwendung solcher nachhaltigen Lösungen selbstverständlich sein. Allerdings war ich gezwungen entweder proprietäre Kaufsoftware zum Laufen zu kriegen oder Alternativen zu finden. Durch Letzteres habe ich mich oft viel intensiver mit den Inhalten auseinander gesetzt als meine Kommiliton:innen. Und es gibt Ansätze gegen solche Zwänge vorzugehen (siehe https://gano.ven.uber.space/microsoft-365-ist-ein-standard-den-alle-einsetzen-gezwungenermassen), aber das ist ein anderes Thema…
Jetzt wo ich selbst forsche und lehre, versuche ich eine Alternative zu diesem kaputten System anzubieten. Meine Studierenden kommen bei mir nur mit Freier Software in Kontakt, um Konzepte zu lernen, zu hinterfragen und um diese Werkzeuge ggf. selbst weiter zu entwickeln, anstatt eine Produktschulung mit Lock-In Gefahr und ohne tieferes Verständnis zu erhalten. Ich ermutige sich mit den Themen weiter zu beschäftigen, indem ich zu eigenen Vorträgen aufrufe und dafür Bonuspunkte in der Prüfung gewähre. Außerdem gestalte ich Vorlesungen interaktiv, um trotz Videokonferenz die Aufmerksamkeit und aktive Teilnahme zu fördern.
Wenn die Studierenden KI nutzen möchten (bspw. zur Erzeugung von kleinen Programmierungen in Python o.ä.), dann reicht es nicht nur die fertige Lösung zu präsentieren, sondern man soll sich auch erklären lassen was jede einzelne Zeile bedeutet und welchen alternativen Code es jeweils gibt. Die Studierenden werden so dazu animiert eine KI wie einen Lernassistenten zu benutzen, auch wenn ich diese Systeme aus der Perspektive von Datenschutz/Privatsphäre und Open Data eher kritisch sehe.