Was man beim Literaturstudium von Shakespeare schon weiß oder zumindest ahnt, hat nun auch ein Naturwissenschaftler bestätigt: Shakespeares Werke enthalten weit mehr als nur „Geschichten“ sondern bilden grundlegende Einsichten in die menschliche Natur ab. Unter anderem hatte Shakesepeare offenbar eine gute Beobachtungsgabe für die psychologischen Folgen emotionaler Situation. Der Forscher bestätigt, dass Shakespeare oft schon darstellt, was man heute in der Psychiatrie als Fakten anerkennt.
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Shakespeares Dramen als Psychiatrie-Lehrbuch [Medizin/Literaturwissenschaft]
Bristol (Großbritannien) – William Shakespeare (1564-1616) hat schon bemerkenswert genau gewusst, dass starke Gefühle mit bestimmten körperlichen Reaktionen einhergehen. Ein britischer Forscher hat jetzt die Anfälle, Ohnmachten und Todesfälle in Shakespeares Dramen untersucht und kommt zu dem Schluss: Shakespeare hat nicht übertrieben, und die körperlichen Reaktionen passen zu den erlebten Gefühlen der Figuren. Seine Ergebnisse hat der Wissenschaftler im „British Medical Journal“ veröffentlicht.
„Ich habe über einen Zeitraum von 20 Monaten jede Zeile der 39 kanonischen Dramen von Shakespeare gelesen sowie seine drei erzählenden Poeme ‚Venus und Adonis‘, ‚Lucretia‘, ‚Der Liebenden Klage‘ „, schreibt Kenneth W. Heaton von der University of Bristol. „Die meisten habe ich in chronologischer Folge gelesen und habe dabei jede Erwähnung eines körperlichen Symptoms oder Zeichens notiert, das bei einem Charakter beim Erleben eines starken Gefühls zu finden war.“ So notierte der Forscher etwa eine Ohnmacht bei Othello im 4. Akt, 1. Szene, als er eine Untreue von Desdemona vermutet.
Insgesamt zählte Heaton in den Werken von Shakespeare 29 Todesfälle aufgrund von emotionalem Leid, 18 vorübergehende Bewusstlosigkeiten und 13 Fälle, in denen ein Charakter beinahe in Ohnmacht fällt aufgrund eines schlimmen emotionalen Erlebnisses. In der heutigen Psychiatrie weiß man, dass jemand sterben oder in Ohnmacht fallen kann, wenn er oder sie ein psychisches Erlebnis hat, das die eigenen Kräfte überfordert. „Hat Shakespeare mit seinen einzigartigen Einsichten in die Beschaffenheit der Menschen eine Botschaft für heutige Ärzte?“, fragt Heaton. „Ich glaube, ja: Unterschätze niemals die Macht der Emotionen – sie können die Körperfunktionen stark schädigen.“ (wsa061222dm1)
Autor: Doris Marszk
Quelle: University of Bristol