Das Vermitteln übergreifender Konzepte und Prozesse sollte einen höheren Stellenwert in der Schule bekommen. Vor allem in der Biologie lassen sich einige grundlegende Prinzipien finden, deren Erkenntnis es den Schülern ermöglicht, viele weitere Einzelheiten richtig einzuordnen und das Leben besser zu verstehen.
In der Schule lernt man zum Großteil Fakten. Einzelheiten. Die Flüsse Russlands und die Hauptstädte Afrikas. Die Stadien der Mitose und die Eckdaten der französischen Revolution. Die unregelmäßigen Verbformen im Englischen und Französischen, die Deponentien in Latein.
Solche Details sind aber dazu verurteilt, nach kurzer Zeit wieder verloren zu gehen, wenn sie nicht in ein Netz übergreifender Konzepte und Ideen eingebettet sind, die ihnen einen weiterreichenden Sinn geben. Natürlich ist es schwierig, für jede Ansammlung von Fakten das entsprechende Netz an Grundgedanken aufzuspüren und zu erklären. Bei den unregelmäßigen Verben einer Sprache beispielsweise gibt es wohl nicht viel mehr zu tun, als sie schlicht auswändig zu lernen.
Und doch gibt es selbst für diese Fälle Möglichkeiten, das Lernen weniger stupide zu machen. Indem man zum Beispiel erklärt, warum es unregelmäßige Verben gibt und warum es wichtig ist, sie zu können. Aber über die Erklärung des Warum des Lernens möchte ich hier nicht schreiben. Dazu an anderer Stelle mehr.
Mir geht es hier darum, dass vor allem in den Naturwissenschaften durchaus übergreifenden Konzepte und Prinzipien bestehen, mit deren Hilfe man viele einzelne Details des Stoffes verstehen kann. Über Physik und Chemie weiß ich nicht genug, um ins Detail zu gehen. Aber in der Biologie findet man eine Handvoll grundlegender Prozesse, die praktisch in der gesamten belebten Natur vom Bakterium bis hin zum Menschen eine zentrale Rolle spielen. Hat man diese einmal verstanden, gewinnt man Einsicht in viele Einzelprozesse und ist in der Lage, Detailwissen über das Leben besser einzuordnen.
Ein Beispiel. Das Thema Osmose wird in der Schule oft anhand eines Versuchs mit gefärbtem Wasser demonstriert und relativ kurz abgehandelt. Dabei ist das Prinzip der Osmose für alle Vorgänge in Zellen von so grundlegender Bedeutung, dass man diese kaum überschätzen kann. Osmose bestimmt den Transport von Molekülen vom Bakterium bis hin zur menschlichen Gehirnzelle. Sie steht hinter der Wirkung von Antibiotika ebenso wie hinter der Wasseraufnahme in Pflanzenwurzeln.
Der Tragweite des biologischen Prinzips „Osmose“ könnte man Rechnung tragen, indem man seine vielfältigen Erscheinungsformen entsprechend ausführlich und breitgefächert illustriert. So würden Schüler vielleicht ein grundlegendes Verständnis dafür gewinnen, unter welchen Bedingungn zelluläre Transportprozesse ablaufen.
Es gibt noch weitere solcher Themen. Folgende kommen z.B. in Frage:
- Diffussion im flüssigen Medium als Bewegungsprinzip von Molekülen
- Daraus folgend: statistische Häufigkeit von Molekülen als Regulationsprinzip für das Ablaufen oder Unterbleiben von Reaktionen („An- und Abschalten“ von Reaktionen, Bedeutung des interzellulären Raumes als inneres Milieu und als Zellumgebung
- Energieniveaus von Elektronen als Energiequelle von Lebensprozessen
- Evolution als sinngebende Theorie hinter allen Erscheinungsformen des Lebens
Es stellt sich natürlich die Frage, wie man diese Themen, die sich über einen breiten Bereich des Lebens erstrecken, im Unterricht in adäquater Ausführlichkeit behandeln kann.
Eine Möglichkeit wäre, dies in Anlehnung an moderne Lehrbücher in Form von *Exkursen* zu realisieren. Heutige naturwissenschaftliche Bücher setzen das Gestaltungsmittel des „Exkurses“ oder des „Kastens“ ein, um z.B. forschungsaktuelle, methodische oder inhaltlich verwandte Informationen unabhängig vom Gedankenfluss des Haupttextes aber dennoch in Verbindung mit diesem zu präsentieren.
In Analogie dazu wäre es denkbar, im Biologieunterricht hin und wieder einen solchen Exkurs einzustreuen, der in lockerer inhaltlicher Verbindung zum gerade behandelten Unterrichtsstoff steht, in seiner Gestaltung aber darüber hinaus auch andere Bereiche umfasst (z.B. könnte man beim Thema „Niere“ die Osmose ansprechen und dies dann auch anhand pflanzlicher Transportvorgänge veranschaulichen).
Die Ergebnisse könnten dann z.B. auf einem Lernplakat festgehalten werden, das im Biologiesaal an der Wand hängt und auf das man immer wieder verweisen kann, wenn im gerade behandelten Thema die Osmose eine Rolle spielt. Eine weitere Möglichkeit der Ergebnissicherung wäre es, den Inhalt des Lernplakats in Form einer Website festzuhalten. So könnten auch weitere Klassen darauf verwiesen werden und davon profitieren.
Es ist klar, dass die Idee des Exkurses nicht immer einfach umzusetzen ist. Die Vorbereitung ist aufwändig und die Durchführung erfordert sicherlich einen erhöhten Planungs- und Materialaufwand gegenüber regulärem Unterricht. Allerdings sind die angesprochenen Themen nicht so zahlreich, dass dieser Aufwand in kurzen Intervallen anfallen würde.
Ein weiteres Problem könnte sein, dass einige der angesprochenen Grundprinzipien inhaltlich sehr komplex und gerade für jüngere Schüler schwer zu verstehen sind. Die Bewegung von Molekülen im flüssigen Medium der Zelle wäre z.B. solch ein Fall. Hier muss man sich möglicherweise mit detaillierten Exkursen auf ältere Jahrgangsstufen beschränken.
Dennoch bietet die ausführliche Verdeutlichung der genannten Grundprinzipien ein solch hohes Maß an Einsicht in zentrale Lebensvorgänge, dass sich der erhöhte Aufwand lohnt.