⅓ frontal, ⅓ individualisiert, ⅓ kooperativ – Hilbert Meyer über Unterrichtsformen

 

Hilbert Meyer hat der Süddeutschen Zeitung ein Interview gegeben, in dem er aus meiner Sicht sehr vernünftige und differenzierte Thesen vertritt. Unter anderem reduziert er die Komplexität der Unterrichtssituationen grob auf drei Formen:

In meinem Buch unterscheide ich drei Grundformen des Unterrichts: die direkte Instruktion, was im Prinzip dem Frontalunterricht entspricht, den individualisierenden Unterricht, der insbesondere an Grundschulen als Wochenplanarbeit praktiziert wird, und den kooperativen Unterricht, etwa in Form von Projektarbeit. (Quelle)

Das scheint mir eine sinnvolle Schematisierung zu sein. Zumal Meyer es für erstrebenswert hält, dass jede der drei Formen etwa zu einem Drittel praktiziert wird. Auch das halte ich für den Unterrichtsalltag für eine sinnvolle Zielvorgabe.

Explizit danach gefragt, ob die Lehrkraft sich für das Erreichen der zuvor genannten Unterrichtsziele nicht mehr zurücknehmen müsse, antwortet Meyer erfreulicherweise:

Darauf antworte ich mit einem eindeutigen Jein. Im Frontalunterricht ist es völlig in Ordnung, wenn sich der Lehrer nicht zurücknimmt. […] (Quelle)

Das Konzept „Sich Zurücknehmen“ ist meines Erachtens problematisch, weil man es – wie fast alles im fachlichen pädagogischen Diskurs – sehr unterschiedlich verstehen kann. Man kann es so deuten, dass man sich als Lehrkraft weniger in den Vordergrund stellen soll, um den Schüler/innen zum Beispiel mehr eigenes Denken zu ermöglichen. Man kann es aber auch so verstehen, dass man den Dingen einfach ihren Lauf lassen kann, weil ja jeder selbst für sein Lernen verantwortlich ist.

Die erste Deutungsvariante ist erstrebenswert. Die zweite Variante scheint mir (in verschiedenen Detailformen) aber auch verbreitet zu sein und kommt dem ein oder anderen gut zupass, der ohnehin an der Grenze der Belastbarkeit agiert und durch diese Deutung bestimmte Aufgaben getrost unter den Tisch fallen lassen kann. Damit bleiben aber meines Erachtens wichtige Elemente der Lehrerrolle vakant.

Ein Grundpfeiler von Meyers Unterrichtsverständnis ist der gegenseitige Respekt zwischen Lernenden und Lehrkraft, den er – zurecht – für unabdingbar hält, wenn Lernen gelingen soll. Er stellt aber klar, dass das nicht gleichbedeutend mit „Kuschelpädagogik“ ist, sondern dass man auch in einem respektvollen Miteinander zeitweise Konflikte haben und austragen kann. Vor allem als Lehrkraft muss man hin und wieder den Konflikt suchen und aushalten, um Regeln durchzusetzen oder den gegenseitigen Respekt einzufordern.

Generell würde ich sagen: Es ist wichtig, mit den Schülern ein Arbeitsbündnis zu schließen und ein lernförderliches Klima herzustellen. Das ist etwas anderes als Kuschelpädagogik. Es kann und muss auch mal hart zugehen, wenn die vereinbarten Rechte und Pflichten nicht geachtet werden. Mein Symboltier für den Lehrerberuf ist deshalb der Igel: im Herzen pazifistisch, aber zur Not verteidigungsbereit. (Quelle)

Zur Digitalisierung sagt Meyer einen Satz, den man scheinbar so schon tausendmal gehört hat, der aber ein entscheidendes Detail enthält. Im Interview lautet die Frage:

Frage: Wie sehen die künftigen Herausforderungen für die Lehrer aus? Was müssen sie können und was vielleicht bleiben lassen?

Hilbert Meyer: Sie müssen lernen, unterschiedliche Rollen einzunehmen. Sie sollten zudem von der Vorstellung wegkommen, alle Inhalte selbst vermitteln zu wollen. Dieser Anspruch wird durch die Digitalisierung der Medien hinfällig werden und ist es teilweise jetzt schon. Die digitale Welt ist einfach da und die Frage ist nicht ob, sondern wie die Schule damit angemessen umgeht. Wichtiger wird es dementsprechend, den Schülern die Kriterien für korrektes fachliches Arbeiten beizubringen, damit sie nicht beliebige Wikipedia-Inhalte kopieren. Die kritische fachliche Auseinandersetzung lässt sich nicht durch elektronische Medien ersetzen. (Quelle, meine Hervorhebungen)

Im zweiten Satz ist das „alle“ aus meiner Sicht sehr wichtig. Meyer erkennt an, dass Schüler/innen im Netz zwar viel lernen können und zahlreiche Angebote finden, dass aber auch die Instruktion durch die Lehrerin/den Lehrer ihren Platz hat. Warum sollte man alle (wiederum hervorgehoben) Erarbeitung von Wissen ins Netz verlagern, wenn in der Klasse eine fachlich und methodisch kompetente Lehrkraft präsent ist, die schwierige Konzepte und Zusammenhänge gut erklären kann?

Fazit

Insgesamt finde ich Meyers Thesen erfreulich differenziert und undogmatisch und das Interview sowohl lesens- als auch bedenkenswert.

2 Gedanken zu „⅓ frontal, ⅓ individualisiert, ⅓ kooperativ – Hilbert Meyer über Unterrichtsformen“

  1. Als junger Lehrer durfte ich in einer Fortbildung mit Norm und Kathy Green teilnehmen. Auf meine Frage, wie viel Prozent seines Unterrichts er denn kooperativ gestalte, sagt er interessanterweise genau dasselbe wie Hilbert Meyer: ein Drittel, vielleicht etwas mehr. Die Fortbildung selbst bestand auch zur Hälfte aus Kooperation und frontalem Vortrag, für Individualisierung fehlte wohl die Zeit.

    1. Danke für diesen Einblick. Interessanterweise ist das eine Frage, die mich – halb unbewusst – schon länger beschäftigt. Ich finde es schwierig, bei all den Ideen und Konzepten, die einem persönlich überzeugend erscheinen eine Vorstellung zu entwickeln, was in welcher Kombination wohl sinnvoll sein könnte. Daher hat mich der Artikel und Meyers klare Aussage auch so angesprochen.

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