Hans Willberg und Friedrich Forssman: Erste Hilfe in Typografie.
Wie viele Dokumente haben Sie im letzten Monat am Computer erstellt? Eines? Zwei? Ich nehme an, es waren eher zehn bis fünfzehn oder noch deutlich mehr.
Haben Sie sich bewusst mit der Gestaltung und Typographie auseinander gesetzt? Eine andere als die Word-Standardschriftart ausgewählt? Abstände als Mittel der Gestaltung eingesetzt?
Die Gestaltung von gedruckten Texten war früher Profis vorbehalten, die eine mehrjährige Ausbildung absolvieren mussten. Dabei lernten sie, wie man mit Schrift kommuniziert, wie man einen Text so gestaltet, dass er im jeweiligen Kontext möglichst gut lesbar ist und welche gestalterischen Mittel wann am besten zum Einsatz kommen.
Heute ist jeder Computernutzer in der Lage, Dokumente zu gestalten — doch gestaltet werden diese Dokumente meist gerade nicht. Sie werden erstellt und ausgedruckt. Das führt gerade im Kontext der Schule dazu, dass Lernmaterialien oder schulorganisatorische Dokumente so schlecht gestaltet sind, dass die Lesbarkeit und damit die Verständlichkeit behindert wird. Einige Beispiele nennt Jochen Lüders in seinem Beitrag Layout Pet Peeves.
Wie oft haben Sie bei einer Konferenz eine Tabelle mit Zahlen in der Hand gehalten, die auch aufgrund ihrer mangelhaften Gestaltung nur mit Mühe verständlich war? Wie oft hätten Schüler eine Klassenarbeit leichter erfassen können, wenn die Typographie und das Layout das Verständnis unterstützt hätten? Dabei müsste man besonderen Wert auf klare Gestaltung legen, wenn die Adressaten junge Menschen sind: Sie haben weniger Erfahrung im Umgang mit Texten und können daher gestalterische Widersprüche oder „Fehlbotschaften“ weniger leicht durchschauen und kompensieren.
Statt dessen wimmelt es in der Schule von typographischen Unfällen und Entgleisungen. Erste Hilfe in Typografie leistet das hervorragende Buch von Hans Willberg und Friedrich Forssman. Es ist im besten Sinne ein Ratgeber: Für alle grundlegenden gestalterischen Fragen weiß es kompetenten und verständlichen Rat.
Schritt für Schritt wird der Leser an die Schrift heran geführt:
- Wie wirkt Schrift in verschiedenen Kontexten?
- Wie gestaltet man Texte lesbar?
- Welche Schriften kann man gemeinsam verwenden?
- Wie setze ich Bilder angemessen ein?
- Wie kann man Kästen so verwenden, dass sie den Text nicht malträtieren?
Diese und viele andere Themen werden mit anschaulichen Beispielen und Übungen bearbeitet. Das Buch eignet sich sowohl zum Durchlesen von vorne bis hinten als auch zum Nachschlagen bei einer konkreten gestalterischen Herausforderung. Es ist — selbstverständlich — hervorragend gestaltet und macht schon deshalb Freude beim Durchblättern. Dabei bleibt es „auf dem Boden“: Man hat nie das Gefühl, vom hohen Ross herab belehrt zu werden. Statt dessen fordern die Autoren einen ständig dazu auf, mit eigenen Augen zu vergleichen und zu beurteilen, so dass man fast unmerklich den Blick für die typographische Gestaltung schult.
Ganz unabhängig vom Wissen und Können, das man aus dem Buch ziehen kann, macht es dem Leser ein ganz tiefgreifendes Geschenk: Es öffnet die Augen für die Typographie, die einen täglich umgibt. Plötzlich werden Sie feststellen, dass Ihre Bank kürzlich ihren Logo-Schriftzug geändert hat und sich fragen, was die Botschaft der neuen Gestaltung ist. Sie werden morgens Ihre Zeitung aufschlagen und sich genau anschauen, wie die Profis diese gestaltertische Herausforderung gemeistert haben. Sie werden die Schriftenliste in Word durchgehen und sich fragen, wie diese oder jene wohl auf ihren Arbeitsblättern wirkt.
Sie werden mit anderen Augen durch die Welt gehen. — Schon allein deswegen lohnt sich die Erste Hilfe in Typografie.