2016 wurde zum „Year of Global Understanding“ ausgerufen. Darauf aufmerksam geworden bin ich dank eines Beitrags von Monsieur Becker.
In einer gemeinsamen Erklärung riefen heute die drei Weltdachverbände der Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften – das International Council for Science (ICSU), das International Social Science Council (ISSC) und das International Council for Philosophy and Human Sciences (CIPSH) – das Jahr 2016 als International Year of Global Understanding aus. Das internationale Themenjahr wirbt für eine neue Perspektive auf den eigenen Alltag, indem die lokale Lebensweise in einem globalen Zusammenhang gedacht wird. Damit soll zu einem besseren Verständnis von lokalen und globalen Zusammenhängen beigetragen werden und Unterstützung für politische Initiativen, die sich globalen Herausforderungen wie beispielsweise dem Klimawandel, der Ernährungssicherheit oder der Migration annehmen, angeregt werden (Quelle: Presseerklärung der Initiative)
Auch wenn die Geographie in diesem Ausschnitt nicht explizit erwähnt wird, ist sie doch die Disziplin, die für das Verständnis globaler Zusammenhänge und Herausforderungen besonders geeignet ist. In einem Beitrag im SWR erläutert Prof. Benno Werlen die Hintergründe.
Geographie ist das Fach, in dem sich Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften und Geisteswissenschaften begegnen und sich gegenseitig dazu verhelfen, ein Phänomen umfassen zu verstehen.
Geographie schult und erfordert vernetztes Denken. Komplexe Ursache-Wirkungsgefüge gehören zum alltäglichen geographischen Arbeiten. Sie bereitet Schülerinnen und Schüler daher hervorragend auf spätere Herausforderungen in komplexen Lebens- und Arbeitssituationen vor. Es ist mir daher unverständlich, dass Geographie als Schulfach in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung verliert. Im neuen Bildungsplan in Baden-Württemberg, der nächstes Schuljahr anläuft, musste am Gymnasium die ohnehin schon spärlich vorhandene Geographie Stunden abgeben und kommt nun nur noch bruchstückhaft vor. Dabei denke ich oft, dass es vielen Entscheidungsträgern gut tun würde, wenn sie sich etwas mehr Geographie beschäftigt hätten, um das komplexe Zusammenspiel von natürlichen Gegebenheiten und menschlichem Handeln zu durchdringen.
Ein Beispiel ist der Klimawandel mit seinen Folgephänomenen. Heute morgen stieß ich auf einen Text über Reisanabau, der hervorragend illustriert, was geographische Zugänge leisten können und wie wichtig sie für das Verständnis globaler Probleme sind: Anbau des Grundnahrungsmittels Reis leidet unter der Veränderung des Klimas.
Darin wird deutlich, dass Reisbauern in vielen Gebieten Asiens unter den Folgen des Klimawandels leiden: Dürreperioden erfordern erhöhte Bewässerung, was den Bauern im Unterlauf eines Flusses buchstäblich das Wasser abgräbt. Dadurch sinken die Ernten in den Mündungsgebieten der großen Flüsse, wo aber die meisten Menschen leben. Gleichzeitig dringt durch den steigenden Meeresspiegel Salzwasser ins Grundwasser ein und setzt die Reisplantagen in Küstennähe unter Salzstress. Das führt ebenfalls zur Ernteeinbußen. Im Extremfall müssen die Felder ganz aufgegeben werden.
Man erkennt hier das enge Zusammenspiel verschiedener Faktoren, welche von der Geographie untersucht werden: Verständnis natürlicher Phänomene wie z.B. der Prozesse in der Atmosphäre, der Dynamik der Ozeane, der Formung von Küsten und Flussläufen und der Wasserdynamik darin. Darüber hinaus kann man mit der Geographie menschliches Verhalten analysieren, z.B. im Rahmen der Siedlungs- und Wirtschaftsgeographie oder auch der Sozialgeographie: Warum siedeln Menschen an bestimmten Orten und nicht woanders? Wie beeinflusst menschliches Wirtschaften den Siedlungsraum und den Naturraum? Welche sozialen Konsequenzen ergeben sich daraus? Wie wirken sich Veränderungen in diesem Gefüge auf den Siedlungsraum, den Naturraum und das soziale Gefüge aus?
Der Mensch ist in den meisten Fällen sowohl Akteur als auch Betroffener. Das Denken in monokausalen oder linearen Zusammenhängen bringt einen nicht zu einem angemessenen Verständnis. Verneztes, disziplinübergreifendes Denken, wie es in der Geographie üblich ist, ist nötig. Ein Ausdruck davon ist das Wirkungsgefüge, das z.B. im Geographieunterricht in Baden-Württemberg fest verankert ist. Mit dieser Methode kann man visualisieren, welche Ursache-Wirkungsbeziehungen einem Phänomen zugrunde liegen.
Hier ein Beispiel, das ich zum Thema Ölsandabbau in Kanada als Musterlösung erstellt habe. Das Ausgangsmaterial dazu ist der Artikel Der kanadische Ölsandkomplex. Das Wirkungsgefüge zeigt auf, wie komplex die Zusammenhänge sind und ermöglicht es, diese auch in Ausschnitten zu erfassen und zu analysieren. Das lineare Medium Text ist dazu weit weniger gut geeignet. Genauso verhält es sich mit der vernetzten Betrachtung durch die „geographische Brille“ im Gegensatz zur Einzelbetrachtung einer spezialisierten Fachdisziplin (wobei natürlich die Vertiefung einzelner Aspekte durch Spezialdisziplinen als nächster Schritt nicht fehlen darf).
Fazit
Geographie ist eine Wissenschaft und ein Fach, das meines Erachtens viel zum Verständnis der Welt und zur Lösung globaler Probleme beitragen kann. Egal, was man als Schüler/in später machen möchte, die Geographie ist immer eine gute Wegbereiterin, weil sie vernetztes Denken in Zusammenhängen schult. Außerdem bekommt man einen breiten Einblick in unterschiedlichste Bereiche, was dazu beiträgt, einen guten Grundstock von Orientierungswissen aufzubauen. Bleibt zu hoffen, dass das ausgerufene Jahr des Verständnisses globaler Zusammenhänge das Bewusstsein für die Bedeutung der Geographie fördern kann.
Abb. von geralt, Pixabay