Nachhilfe in einzelnen Fächern wird für einen Teil der Schüler:innen nötig sein. Allerdings sollte sie nach gründlicher Diagnose des Lernstands wohldosiert erfolgen, denn gerade schwächere Schüler:innen können nicht beliebig viel zusätzliche Zeit aufwenden, wenn sie nicht von der Corona-Belastung in die Nachhilfe-Belastung rutschen sollen.
Über die Nachhilfe wird gerade in der Politik am meisten gesprochen – das geht soweit, dass das vom Bund bewilligte Geld in den Medien gern die „Nachhilfe-Milliarde“ genannt wird. Allerdings kann Nachhilfe eben sehr unterschiedlich sein: gut gestaltet und dosiert eingesetzt kann sie wirken — oder im gegenteiligen Fall lediglich verschwendete Zeit und hinausgeworfenes Geld bedeuten.
Wenn Nachhilfe unspezifisch mit der Gieskanne verordnet wird, nach dem Motto: „Du bist nicht so gut in Deutsch, geh mal in die Nachhilfe“, dann wird wenig dabei herauskommen: Die/der Schüler:in und die Nachhilfe-Lehrer:innen werden nicht wissen, woran sie genau arbeiten sollen und außerdem wird sich kaum ein aktives Erfolgserlebnis einstellen. Dieses würde sich ergeben,
- wenn ich als Lernende:r zunächst merke, dass ich ein Thema noch nicht verstanden habe oder eine Fähigkeit noch nicht besitze,
- dann gezielt Hilfe bekomme und
- direkt im Anschluss an diese Hilfephase durch einen Test oder Ähnliches erlebe, dass ich etwas dazu gelernt habe und das Thema nun verstehe oder mir die Fähigkeit nun erarbeitet habe.
Genau dieses Lernerfolgserlebnis ist entscheidend und bleibt bei Nachhilfe dennoch oft aus, wenn sie im Nachgang einer Leistungsmessung durchgeführt wird, weil diese nicht gut war. Dann lernt die/der Schüler:in „nach“, aber in der nächsten Klassenarbeit kommt etwas anderes dran und für den/die Lernende bleibt es unklar, ob das Lernen in der Nachhilfe nun etwas gebracht hat oder nicht. So erlebt er/sie keine Lernwirksamkeit und daher entwickelt sich keine Motivation weiterzulernen.
Nachhilfe müsste also nach erfolgter Diagnose des Lernstands möglichst gezielt eingesetzt werden. Die Fachlehrer:innen sollten dabei in ihrem Lernfeedback genau formulieren, welche Themen oder Kompetenzen noch nicht gut gelingen. Die Nachhilfe sollte dann an diesen Inhalten arbeiten und entweder die Schule oder die Nachhilfeinstitution sollten nach Abschluss eines Inhaltsblocks Gelingensnachweise ermöglichen, so dass die Schüler:innen merken, dass sie nun tatsächlich etwas dazu gelernt haben.
Falls diese Gelingensnachweise in der Nachhilfeinstitution durchgeführt werden, sollten sie zurück in die Schule kommuniziert werden, weil sie dadurch im Empfinden der Schüler:innen deutlich aufgewertet werden. Außerdem ließen sich so weitere Lernhindernisse identifizieren, die evtl. nicht auf der fachlichen Ebene liegen. Allzuoft berichten Schüler:innen, dass sie ein Thema in der Nachhilfe gut konnten, in der schulischen Klassenarbeit aber nicht (mehr). Das deutet ja darauf hin, dass es auf irgendeiner Ebene (fachlich, psychisch …) Probleme gibt, die noch unbenannt sind und die dem erfolgreichen Lernen entgegen stehen. Wenn die Nachhilfe-Institution mit den Fachlehrer:innen kommuniziert, besteht zumindest die Chance, dass man solche Probleme überwindet. An dieser Stelle ist wieder die Politik gefragt, durch Reduktion der Stundenverpflichtungen den Lehrer:innen genügend Zeit einzuräumen, damit solche Kommunikation auch zeitlich leistbar ist.
Ein weiteres Problem von Nachhilfe ist der zeitliche Zusatzaufwand. Wenn unsere Schüler:innen im Lauf des kommenden Schuljahres evtl. wieder zu einem „normaleren“ Alltag zurückkehren können, ist es wohl kaum sinnvoll, dass sie jeden Nachmittag mit Nachhilfe verbringen. Sie sollten wieder Freunde treffen, Sport machen, in Vereinen aktiv sein und die Chance haben, in ihrer Freizeit einige der Dinge zu genießen, die ihnen nun monatelang versagt blieben. Auch das spricht dafür, die Nachhilfe möglichst spezifisch dort einzusetzen, wo die größten Probleme identifiziert wurden und dabei dennoch sparsam zu dosieren.
Schließlich muss Nachhilfe auch nicht zwingend in der Form stattfinden, dass ein:e Schüler:in nachmittags irgendwo hin geht, um dort Nachhilfe zu erhalten. Schulen könnten auch Pools von Online-Lernmaterialien zusammen stellen, auf die Schüler:innen konkret zurückgreifen können: Lernvideos mit Übungen, die thematisch sortiert abgerufen werden können. Online-Übungen aus diversen Portalen, die man auch mal für fünfzehn Minuten einschieben kann, um ein konkretes Thema zu üben. Wenn Schulen hier z.B. zusätzliches Geld von ihren Ministerien oder Trägern erhalten würden, könnten sie Abos diverser Anbieter solcher Online-Materialien abschließen und die Materialien bei Bedarf ihren Schüler:innen zuweisen. Hierfür können dann die inzwischen zahlreicher vorhandenen digitalen Geräte genutzt werden, die für diesen Zweck in den Schulen möglichst flexibel und abrufbereit zur Verfügung stehen sollten. Auch Nachhilfe oder Lernberatung per Videokonferenz ist natürlich machbar, so dass man sich die Fahrwege und damit Zeit spart.
Fazit
Fachliche Nachhilfe kann in verschiedener Hinsicht helfen, dass Schüler:innen verpasste oder nicht gut verstandene Inhalte nacharbeiten können. Wenn die Nachhilfe wirken soll, ist auch hier wieder pädagogische Phantasie gefragt sowie eine gründliche Diagnose des Lernstands. Die Nachhilfe sollte möglichst sparsam eingesetzt werden und digitale Formen mit berücksichtigen.
In dieser Artikelserie geht es um die Frage, wie Schulen ihren Schüler:innen helfen können, Lerndefizite aus der Corona-Zeit zu kompensieren und dabei auch das Lernen insgesamt zu verbessern. Der erste Artikel enthält eine Einführung sowie die Liste aller Beiträge.
Ich bin Student und gebe Nachhilfe für einen Schüler am Gymnasium. Ich befinde mich genau in der Situation die Sie hier beschreiben. Die Lehrer geben keinerlei Auskunft darüber was im Schuljahr noch behandelt wird. Ob Klausuren stattfinden ist unklar. Es wird mit dem Gedanken gespielt eine Klausur am Ende des Schuljahres zu schreiben, die dann vermutlich das ganze Schuljahr abdeckt.
Ich finde Ihren Punkt über die Gelingnachweise sehr hilfreich. Könnten Sie etwas ausführen, wie ich (als Außenstehender) diese an die Schule kommunizieren kann?
Sind die Lehrpläne für Lehrer eigentlich verpflichtend? Wie viel Spielraum haben Sie als Lehrer hier?
(P.S. Ich war vor vielen Jahren mal Schüler bei Ihnen)
Hallo Oliver,
Das ist natürlich eine sehr ungünstige Situation. Bei einer Klausur über alle Inhalte des ganzen Jahres wäre das Scheitern vieler Schüler:innen meines Erachtens vorprogrammiert – mal abgesehen von dem Druck und dem Frust im Vorfeld.
Vielleicht könntest Du einzelne Lehrer:innen kontaktieren und nachfragen, was sie in den nächsten Wochen planen und so Deinen Nachhilfe-Schüler darauf vorbereiten.
Du könntest z.B. zunächst einen ersten Kontakt mit der/dem Fachlehrer:in herstellen und Dich vorstellen; außerdem nachfragen, ob sie Vorschläge haben, was Du mit dem Schüler üben oder wiederholen solltest. Wenn Du mit ihm ein Thema erarbeitet hast, könntest Du ihn – unter KA-ähnlichen Bedingungen und Deiner Aufsicht – einige Aufgaben z.B. aus dem Schulbuch oder einem Übungsbuch schreiben lassen und diese dann korrigieren. Das Ergebnis könntest Du der/dem Fachlehrer:in zukommen lassen und um Feedback bitten, ob sie die Leistung ähnlich einschätzen wie Du.
Schreib mir doch gerne eine Mail über das Kontaktformular, dann können wir das gern noch näher besprechen!
Das freut mich! Schön, dass Du hierher gefunden hast – lass uns uns doch per Mail mal weiter austauschen!
Herzliche Grüße,
Andreas