Seit einigen Tagen probiere ich Twitter aus, nachdem ich monatelang (wie z.B. Jochen Lüders auch) der Ansicht war, diese kurzen Statusmeldungen seien völlig irrelevant und stellten lediglich ein Rauschen dar, das die eigentliche Arbeit behindert.
Inzwischen ist meine Ansicht zu Twitter etwas differenzierter geworden. Ich bin noch zu kurz dabei, als dass ich eine fundierte Meinung dazu hätte, aber einige Punkte sind mir schon aufgefallen.
»Draußen« passiert eine Menge
Twitter lebt davon, dass man Leuten »folgt«, d.h. ihre Updates »abonniert«. Schon nach kurzer Zeit entsteht aus der Viezahl kleiner Meldungen ein Bild von einer Person, das meist interessant und oft anregend ist. Denn es sind immer wieder Meldungen dabei, denen man nachgeht. Ich stoße so zur Zeit auf viele interessante Menschen, oft Kollegen, die ebenfalls bloggen oder twittern und deren Gedanken mich weiterbringen.
Ein Beispiel: Bisher hatte ich an meiner Schule den Eindruck, in meiner Freude am Web und in der Suche nach einer sinnvollen Medienpädagogik mehr oder weniger allein zu stehen. Zu wenige Kollegen teilen diesen Antrieb. Inzwischen habe ich über Twitter festgestellt, dass es sehr viele Kollegen gibt, die diesen Antrieb teilen, viele von ihnen gehen ihm intensiver nach als ich und haben schon eine Menge guter Gedanken dazu gedacht und auch im Web publiziert (z.B. Herr Larbig, Fontanefan und verschiedene Leute bei ZUM).
»Produktives« Rauschen
Twitter ist in der Tat voller Rauschen. Es kommt mir mancmal so vor, als steckte ich den Kopf mit Taucherbrille in einen schnell fließenden Bach. Die Ohren sind plötzlich voll mit dem erhöhten Geräuschpegel und die Augen nehmen unzählige Objekte war, die vorbeirauschen. Einige bannen die eigene Aufmerksamkeit, so dass man ihnen folgt, um sie näher zu betrachten, andere gehen fast unbesehen vorbei, weil man sie nur aus den Augenwinkeln wahrnimmt.
Die Herausforderung besteht wohl darin, sich selbst nicht den Druck zu machen, alles genau verfolgen zu wollen. Denn selbst wenn ich einen Großteil der Konversationen verpasse, kommen durch Twitter immer noch mehr gute Gedanken »rein« als das bisher der Fall war. Es macht also nichts, wenn ich nicht alles mitbekomme.
Natürlich raubt Twitter auch Zeit indem man immer wieder »reinschaut«, während man am Schreibtisch sitzt. Für dieses »Problem« (ich bin mir noch nicht sicher, ob es wirklich eines ist) habe ich noch keine Lösung gefunden. Feste »Twitter-Zeiten« (z.B: ein Mal pro Stunde) scheinen in diesem Medium widersinnig – außerdem gelingt mir das bei E-Mail schon nicht.
Allerdings habe ich momentan das Gefühl, dass die Twitter-Ablenkung eher produktiver Art ist, weil der Eindruck entsteht, dass ich in einem Raum voller denkender und kreativer Leute sitze, die alle ihrer Arbeit oder ihrem Freizeit-Leben nachgehen. Es fällt schwer, das in Worte zu fassen – aber es hat etwas von dem »produktiven Summen« eines fleißigen Bienenstocks. Das lenkt auch ab, ist aber auch produktiv anregend. Insofern macht die Vernetzung auch mir Spaß und ist auch für mich lehrreich.
Das widerspricht zunächst meiner Meinung zu Alone Time aus einem früheren Beitrag. Ob und wie beides zusammen passt, kann ich noch nicht sagen.
Rauschen wird zu Konzepten
Angesichts der Akzeleration aller Interaktionsvorgänge im Web, also der kollektiven Reflexion werden die »Hubs« besonders gefordert. Es müssen Menschen oder vielmehr Menschengruppen die Aufgabe übernehmen, aus der Fülle der Impulse rasch die relevanten Informationen zu extrahieren, zu Konzepten umzuformen und zur Verarbeitung an die nächsthöhere Instanz weiterzureichen. Eine solche Entwicklung lässt sich bereits in den immer zahlreicher werdenden Blogs beobachten. Blogs sind Hubs und Konzeptualisierungsmaschinen. (Jean Pol Martin)
Ich stimme Jean Pol zu, dass Blogs sozusagen eine höhere Organisationsebene von Twitter darstellen können. Die Tatsache, dass ich diesen Beitrag schreibe, spricht dafür. Er wurde »nötig«, um einige Eindrücke der letzten Tage, gipfelnd in der Lektüre des Neuronen-Beitrags von Jean Pol selbst, zu konkretisieren und festzuhalten. Dieses Bedürfnis entstand von sich aus – die vielen Anregungen waren die feuernden Neuronen, durch ihre Vielzahl haben sie einen Reaktion in der nächsthöheren Organisationsebene ausgelöst, weil klar wurde, dass die Gedanken strukturiert werden wollten.
Kein Fazit
Es gibt bisher noch kein Fazit – nur die Aussage, dass ich meine Meinung über die scheinbare Nutzlosigkeit von Twitternachrichten geändert habe und gespannt bin, wie es weitergeht.
2 Gedanken zu „Einsichten aus der Twitter-Wolke“