Nur kein Stress – Mein Umgang mit Belastungen im Berufsalltag als Lehrer

Herr Mess ruft zu einer Blogparade auf, bei der es darum gehen soll, welche Quellen von Stress Lehrerinnen und Lehrer in ihrem Alltag sehen und wie sie damit umgehen. Die Leitfragen lauten:

  1. Welche Situationen im Schulalltag empfindest du persönlich als belastend?
  2. Welche Strategien hast du dir zurecht gelegt, um mit derartigen Situationen zurecht zu kommen?

Ich habe die Beiträge der übrigen Teilnehmer/innen noch nicht gelesen – hier geht es gerade auf das Schuljahresende zu und ich habe viel zu tun (was natürlich zum Thema passt).


Vorbemerkungen

Bevor ich auf die Leitfragen eingehe, scheinen mir einige Vorbemerkungen wichtig zu sein. Wenn Leute darüber berichten, wie ihr Stress aussieht und wie sie damit umgehen, so ist das meiner Erfahrung nach sehr individuell und heterogen. Allein das Wort „Stress“ wird so inflationär benutzt, dass ich inzwischen weitgehend darauf verzichte. Insofern sind die Tipps und Erfahrungen damit meines Erachtens immer cum grano salis zu nehmen und man muss sich fragen, inwieweit des einen Stress mit der eigenen empfundenen Belastung vergleichbar ist.

Entsprechend sind auch die Tipps zum Umgang damit oft nur wenig übertragbar. Die Umstände, in denen man lebt und arbeitet, haben einen erheblichen Einfluss darauf, wie intensiv das eigene Leben ist. Einige Beispiele:

  • An der Schule hat es in der Regel einen erheblichen Einfluss, ob ich Berufsanfänger bin oder schon einige Jahre als Lehrer/in arbeite. Am Anfang werde ich für die selben Stunden viel mehr Aufwand betreiben müssen als später. Außerdem hat man als Berufsanfänger in der Regel weniger Mut und auch nicht die Position, um Anfragen für bestimmten Aufgaben abzulehnen. Das „Nein“-Sagen lernt man meist erst im Laufe der Jahre – wenn überhaupt.
  • Die Fächerkombination beeinflusst die tägliche Belastung erheblich. Ebenso die Schulart, an der man unterrichtet und die Höhe der Stundenverpflichtung. Wenn jemand z.B. sagt, Stress werde vermieden indem man die Klassenarbeiten rasch in der Schule korrigiert, so ist das in der Grundschule vielleicht möglich, als Deutschlehrerin mit gymnasialer Oberstufe nicht, weil man für einen Aufsatz so lange braucht, die für zwanzig Grundschul-Mathearbeiten. Umgekehrt hat man in der Grundschule dann wahrscheinlich andere Belastungsmomente. Es geht mir nicht darum zu beurteilen, wer mehr Stress hat. Die Lösungsmöglichkeiten sind aber eben nicht unbedingt übertragbar.
  • Die außerschulischen Lebensumstände tragen natürlich erheblich dazu bei, wie ich meine Arbeit einteilen kann und wie viele Freiräume ich habe. Leute, die keine Kinder haben, können über ihre Zeit und damit die potentielle Stressbewältigung viel freier verfügen als Eltern (oder gar Alleinerziehende). Wenn die Kinder im Kindergarten- oder Grundschulalter sind, ist der Alltag weitgehend durch die Kinderbetreuung geprägt – die Freiräume der Erwachsenen schrumpfen auf ein Minimum. Außerdem sind dann „Erholungszeiten“ (Wochenende, Ferien) oft anstrengender als die Arbeitszeiten. Nach zwei Wochen Ferien mit zwei kleinen Kindern, die beide den ganzen Tag zu Hause sind, geht man zur Erholung wieder in die Schule und freut sich darauf, mal wieder etwas weniger in Beschlag genommen zu werden (aber auch hier: das kommt auf die Kinder, den Beruf der Partnerin/des Partners, die Betreuungssituation mit Babysitter, Großeltern etc. an).

Neben diesen externen Umständen spielt die eigene Belastbarkeit eine erhebliche Rolle dabei, wann und wie „Stress“ empfunden wird. One man’s meat is another man’s poison.

Mein Hintergrund

Für die folgende Schilderung muss ich also einige Hintergrundinformationen liefern, damit der Kontext einigermaßen einzuschätzen ist: Ich unterrichte mit vollem Deputat (25 Stunden) die Fächer Biologie, Geographie, Naturwissenschaft & Technik sowie (prinzipiell, aber nun schon mit einigen Jahren Pause) Englisch an einem Gymnasium in Baden-Württemberg. Ich habe die letzten Jahre immer mindestens einen, teilweise auch zwei Neigungskurse in Geographie unterrichtet und daher fast jedes Jahr Abitur korrigiert. Ich habe verschiedene Zusatzaufgaben wie Website, Netzwerk, Fachleitung etc. Für manches bekomme ich Entlastungsstunden, für Anderes nicht. Meine beiden Kinder sind im Kindergarten- und Grundschulalter. Ich bin seit zehn Jahren Lehrer und war die ganze Zeit über an der Schule, an der ich aktuell unterrichte.

Stress im Schulalltag

In meinem Schulalltag empfinde ich insgesamt recht selten „Stress“ im negativen, belastenden Sinne. Die meisten persönlichen Interaktionen mit Schüler/innen, Kolleg/innen, mit der Schulleitung oder mit Eltern sind freundlich, konstruktiv und respektvoll. Da habe ich wohl auch eine Menge Glück was mein Umfeld angeht.

Meine hauptsächliche Quelle anstrengender Situationen ist die zeitliche Häufung von Verpflichtungen. Es ist ja ein Merkmal des Lehrerberufs, dass wir termingetrieben sind. Die Unterrichtsstunden für den nächsten Tag müssen vorbereitet werden, diese Frist lässt sich nicht verschieben, die Arbeit daran nur in einem sehr engen Rahmen flexibel gestalten. Auf diese Grundschicht terminlich festgezurrter Arbeit kommen dann viele weitere Schichten, bei denen oft ebenfalls Termine und Fristen vorhanden sind. Erfahrungsgemäß gibt es Zeiten im Schuljahr, in denen sich die Aufgaben häufen, so dass die verfügbare Zeit dafür geringer wird.

Ich habe kein Problem damit, viel und intensiv zu arbeiten, aber zeitlichen Druck mag ich nicht. Ich brauche ihn auch nicht zur Motivation. Daher versuche ich ihn zu vermeiden. Das kann ich aber nicht immer, denn wenn man auch nur ansatzweise an schulgestalterischen oder organisatorischen Aufgaben und Projekten mitwirkt, muss man eine gewisse Fremdsteuerung von Terminen, Fristen und Aufgaben akzeptieren. Die Beteiligung verschiedener Institutionen und Personen bringt es mit sich, dass man nicht immer im Voraus planen kann, wann welche Dinge zu erledigen sind und wie lange man dafür Zeit hat.

Es gibt also einen Bereich, den man selbst beeinflussen kann und einen, der außerhalb des eigenen Einflusses liegt. Stephen Covey nennt diese beiden Bereiche „Circle of Influence“ und „Circle of Concern“. Ich habe Belastungsquellen, die in meinem Circle of Influence liegen und andere, die außerhalb davon, in meinem Circle of Concern liegen.

Meine Strategien zur Bewältigung

Organisation

Wenn man gut organisiert ist, seine Termine und Aufgaben kennt, einen Überblick über den Verlauf eines Schuljahres hat, kommt es weniger häufig zur ungewollten Verdichtung von Aufgaben. Ich führe also konsequent einen Kalender, in dem alle Termine notiert werden (beruflich und familiär), ich schreibe mir alle außer den banalsten Aufgaben auf und hake sie ab, wenn sie erledigt sind. Ich schaue jeden Sonntag Abend in den Terminkalender der Schule und übertrage die Termine, die für mich relevant sind. In der Familie sprechen wir regelmäßig die anstehenden Termine ab, so das meine Frau und ich gegenseitig wissen, wer wann welche Verpflichtungen hat.

Für diese Termin- und Aufgabenorganisation setze ich auf digitale Tools (was aber meines Erachtens keine Voraussetzung ist – meiner Frau gelingt das das insgesamt besser als mir und sie benutzt nur analoge Werkzeuge). Einen Überblick dieser Werkzeuge und Ansätze habe ich vor längerer Zeit einmal aufgeschrieben. Die Kerntools benutze ich immer noch (z.B. Kalender und OmniFocus), andere inzwischen nicht mehr. Einen umfassenden Einblick in die Benutzung von OmniFocus gibt Alexander Fischer. Ich mache Vieles Ähnlich, er ist aber strukturierter als ich.

Der Zweck der Organisationsbemühungen ist natürlich, Stress zu vermeiden. Dieser könnte aufkommen, wenn ich Termine doppelt belege, Termine oder Aufgaben vergesse oder arbeitsintensive Aufgaben aus meinem Circle of Influence zu dicht beisammen einplane. Indem ich versuche, den Überblick zu behalten, minimiere ich (idealerweise) die Belastung.


Organisation ist die einzige meiner Strategien, die kurzfristig wirkt. Die wichtigeren Ansätze beruhen eher auf langfristiger Entwicklung der eigenen Person und der übernommenen Aufgaben.

Aufgaben, die mir Freude machen

Ich versuche darauf zu achten, möglichst nur solche Aufgaben zu übernehmen, die mir auch Freude machen. Wenn das der Fall ist, macht es mir meist nicht so viel aus, wenn ich viel dafür tun muss oder wenn ich samstags abends daran arbeite, weil sonst keine Zeit blieb. Das klappt natürlich nicht immer, muss es aber auch nicht. Wenn die Mehrzahl der Aufgabenfelder Freude bereitet, kann man mit eingestreuten weniger erfreulichen Tätigkeiten leben.

Hier kommt wieder der Aspekt des Umfelds ins Spiel: Nach zehn Jahren an meiner Schule ist es leichter, Anfragen abzulehnen als das beim Berufseinstieg der Fall war. Außerdem hilft es, dass allen Beteiligten inzwischen klar ist, dass ich nicht aus Faulheit ablehne, sondern generell durchaus bereit bin mich zu engagieren.

Dinge, die ich kann

Eng verwandt mit der Auswahl nach dem Prinzip „Mach mir Freude“ ist das Prinzip „Das kann ich gut“. Ich kenne mich inzwischen gut genug zu wissen, was ich mir zutrauen kann und was nicht. Wenn ich mir nicht sicher bin, dass ich die Aufgabe prinzipiell gut machen kann, übernehme ich sie nicht. Das bedeutet nicht, dass ich keine neuen Herausforderungen annehme, bei denen natürlich immer eine gewisse Unsicherheit besteht. Aber zwischen „Ich kann das prinzipiell“ und „Es wird sicher klappen“ gibt es einen Unterschied.

Reflexion und konstante Justierung

Um die beiden genannten Punkte umsetzen zu können, muss ich mich ständig selbst beobachten, mein Handeln und meine Fähigkeiten hinterfragen. Das hilft enorm dabei, die nötigen Entscheidungen zu treffen. Hier gehört auch dazu, die eigenen Prioritäten sicher zu kennen und überzeugt davon zu sein. Welchen Stellenwert hat die Arbeit für mich? Welche Bedeutung hat meine Familie? Was für ein Familienvater möchte ich sein?

Wenn man diese Fragen geklärt hat, kann man leichter Dinge annehmen oder ablehnen. Es hat zum Beispiel ein paar Jahre gedauert, bis ich Anfragen für Kongresse, EduCamps etc. zügig und ohne großes Nachdenken ablehnen konnte. Inzwischen ist für mich persönlich aber geklärt: Das Wochenende ist Familienzeit und bis auf sehr wenige Ausnahmen im Jahr „heilig“. Ich muss also bei den meisten Anfragen gar nicht lange mit meiner Frau „verhandeln“, sondern lehne in der Regel ab. Auch hier gilt natürlich wieder, dass sich diese Dinge mit der Zeit ändern. Je größer die Kinder werden, desto häufiger werden sie selbst am Wochenende unterwegs sein oder eigenständiger planen – dann bin ich auch wieder freier.

Hobbys

Es hilft mir, das ein oder andere Hobby zu haben, das kaum Berührungspunkte mit meinem Beruf hat. Bei mir ist das hauptsächlich die Arbeit mit Holz. Wenn die Zeit am Schreibtisch zu dicht und unproduktiv wird, hilft es immer, eine Pause in der Werkstatt einzulegen und etwas aus Holz zu bauen, das einen konkreten Verwendungszweck und ein definiertes Ende hat. Die Freude am Arbeiten mit den eigenen Händen und am Herstellen von konkret nützlichen Produkten ist ein guter Ausgleich für geistige Strukturierungsarbeit, die an manchem Tag eben gerade nicht abgeschlossen werden kann und oft kein greifbares, sondern nur ein ahnbares Ergebnis zeitigt.

Kleine Freuden des Alltags

Darüber hinaus versuche ich, immer wieder auch kleine Entspannungsmomente in meinen Alltag zu integrieren. Ich fotografiere gern und nehme mir hin und wieder die Zeit, ein paar Fotos am Wegrand zu machen (z.B. auf dem Weg zum Bus oder zum Zug). Oder ich setze mich nach der Mittagsschule für ein paar Minuten in ein Café bevor ich nach Hause gehe. Oder ich genieße einfach einen kurzen Moment die Wiese und die Sträucher in unserem Schulgarten.

Gelassenheit

Im Laufe der Jahre habe ich mir beigebracht, dass nicht alle Dinge, die dringlich scheinen, auch dringlich sind. Vieles kann länger warten als man zunächst glaubt. Ein Artikel, der auf die Schulwebsite gepostet werden soll, muss nicht zwingend am selben Tag bearbeitet werden, an dem man ihn geschickt bekommt. Eine Klassenarbeit muss nicht in der Folgestunde zurück gegeben werden. Wenn man diese Haltung nicht benutzt, um Trödelei und Faulheit zu kaschieren, sondern zur grundlegenden Entschleunigung, hilft sie erstaunlich gut. Die Schlüsselfrage ist immer: Ist das wirklich dringend (meist nein), oder scheint es mir nur so?

Ein weiterer Aspekt der Gelassenheit ist, dass man sich zugesteht, auch mal nur mittelmäßige Stunden zu halten. Wenn die grundlegende Qualität des eigenen Unterrichts und der übrigen Arbeit stimmt, werden die Schüler/innen keinen Schaden davon tragen, wenn man in einer Woche mit hoher Belastung nur Butterbrot und keinen Kuchen serviert.

Belastbarkeit

Die vielleicht wichtigste Strategie ist es, möglichst viel auszuhalten. Die Fülle und die Komplexität der Anforderungen bringt es mit sich, dass man immer wieder Belastungen ausgesetzt ist, ohne diese ganz vermeiden zu können. Da hilft es zu wissen, dass man das in der Regel aushalten kann und dass es meist auch wieder vorüber geht. (Wenn es nie vorüber zu gehen scheint, muss die Reflexion und Justierung einsetzen).

Die Erfahrung, eine belastende Aufgabenfülle ausgehalten und gemeistert zu haben, stärkt für die nächste Herausforderung. Aus der Reflexion darüber ergeben sich in der Regel auch Einsichten, wie man beim nächsten Mal besser damit umgehen könnte. Meist muss man ja auch nur bis zur nächsten Verschnaufpause durchhalten, weil man am Wochenende oder in den Ferien – selbst wenn man dennoch arbeiten muss – zumindest etwas freier atmen kann.

Die Erfahrung der eigenen Belastbarkeit ist meines Erachtens auch für Kinder bzw. Schüler/innen wichtig und kommt heutzutage in vielen Familien zu kurz. Allzu schnell versucht man, die Belastungen zu vermeiden anstatt daran zu arbeiten, wie man sie bewältigen kann.

Fazit

Meine Strategien zur Bewältigung von arbeitsintensiven Situationen sind eher auf langfristige Persönlichkeitsentwicklung ausgelegt. Damit ist man natürlich nie fertig, denn der Weg geht ja immer weiter und die Herausforderungen ändern sich. Bisher hat jedes Schuljahr seinen eigenen Charakter gehabt: Die Kombination aus unterrichteten Klassen, Stundenplan, familiärer Situation etc. schafft jedes Jahr ein Konglomerat, das mehr oder weniger anstrengend ist. Dennoch habe ich den Eindruck, mit den genannten Ansätzen bisher recht gut gefahren zu sein, auch wenn es natürlich immer Zeiten gibt, in denen ich das Gefühl habe, dass mir die Aufgaben über den Kopf wachsen.

2 Gedanken zu „Nur kein Stress – Mein Umgang mit Belastungen im Berufsalltag als Lehrer“

  1. Erster Kommentar?! …Gibt´s keine gestressten Lehrer da draußen?

    Ich will nicht alles kommentieren, aber meiner Meinung nach beginnt´s schon mit der Fächerkombination. Unterrichtet man ein Hauptfach ist der Arbeitsaufwand höher als in einem Nebenfach, was die meisten Kollegen aber ungern zugeben werden, schließlich hält jeder sein Fach für das wichtigste.
    Ein Sport- Geschichte- Erdkäs-Lehrer, auch in, kommt schätzungsweise belastungsfreier über die Schuljahrrunden. Ich finde, da dürfte man auch gern mal am Stundendeputat herumschrauben.

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