ZUSAMMENFASSUNG: Die schulische Auseinandersetzung mit den negativen Aspekten digitaler Medien ist dringend geboten, damit Schülerinnen und Schüler das positive Potential digitaler Medien erfahren können, ohne Schaden zu nehmen. Gerade digital-affine Lehrerinnen und Lehrer können negative Aspekte glaubwürdig thematisieren und sollten dies daher im Sinne einer umfassenden Medienkompetenzentwicklung regelmäßig tun.
Die Digitalisierung folgt dem Muster vieler vorangegangener technologie-getriebener Umwälzungen wie z.B. der Nutzbarmachung von Elektrizität, der Industrialisierung oder der Globalisierung: Sie bringt eine Fülle erstaunlicher Produkte, Phänomene und Entwicklungen hervor, von denen viele sehr positiv wirken. Gleichzeitig werden nach und nach negative Konsequenzen sichtbar, deren Tragweite nur von wenigen Menschen vorausgesehen wurden.
Während wir zum Beispiel einerseits durch digitale Dienste wie Twitter oder Facebook uns so einfach wie nie mit anderen Menschen austauschen und so unser Wissen und unseren Horizont erweitern können, werden die gleichen Dienste von böswilligen Akteuren genutzt, um Menschen durch falsche Behauptungen zu manipulieren, was im Extremfall demokratiezersetzende Wirkung hat. Während digitale Mobilgeräte durch unzählige Funktionen den Alltag erleichtern, nützliche Informationen verfügbar machen und kreativen Ausdruck ermöglichen, wirken sie im selben Atemzug als potentiell bodenlose Aufmerksamkeitssenken und Suchtmittel.
Aus meiner Sicht ist es eine wichtige Aufgabe der Schule, jungen Menschen die verschiedenen Aspekte der Digitalisierung deutlich zu machen und es ihnen zu ermöglichen, umfassende Einsichten zu gewinnen und Erfahrungen damit zu sammeln. So können sie in ihrem Leben außerhalb und nach der Schulzeit mündige Medienkonsumenten und -produzenten werden. Diese Aufgabe ist so wichtig, weil es kaum noch Bereiche in Alltag, Beruf und Freizeit geben wird, die nicht von digitalen Medien beeinflusst oder gar geprägt sein werden.
Zu digitalen Erfahrungsspektrum der Schulezeit sollte beispielsweise gehören zu lernen, wie man sich vernetzt, wie man sich kreativ ausdrückt, wie man sich digital organisiert und wie man mit Hilfe digitaler Medien lernt. Es sollte aber auch dazu gehören zu verstehen, wie sich die digitale Infrastruktur auf das persönliche Wohlbefinden und auf politische und gesellschaftliche Strukturen auswirkt.
Das so genannte Dagstuhl-Dreieck bietet hier eine gute Strukturierungshilfe.
Dagstuhl-Dreieck. Umsetzung von Pascal Schiebens, CC-BY
Schlagseite
Dort, wo die schulische Medienbildung bereits implementiert ist, liegt der Schwerpunkt der Auseinandersetzung und des Unterrichts meiner Erfahrung nach auf der technologischen und der anwendungsbezogenen Perspektive. Die gesellschaftlich-kulturelle Perspektive kommt oft zu kurz. Sie ist auch weitaus schwieriger zu thematisieren, denn ihre Zusammenhänge sind komplex, es ist viel technisches, psychologisches und gesellschaftliches Verständnis nötig, um die wirkenden Kräfte zu verstehen und ihre langfristigen Konsequenzen zu begreifen.
Bei der Einarbeitung helfen z.B. folgende Materialien.
- Bücher über die Schattenseiten der Digitalisierung
Zu ergänzen wäre noch das Buch „Die Facebook-Gefahr“ von Roger McNamee. Der Autor war ein früher Investor in Facebook, hat dann aber irgendwann die Machenschaften erkannt, die durch die Plattform und ermöglicht werden. Das Buch ermöglicht einen tiefen Einblick in die Struktur von Facebook und die Haltung des Top-Managements dort. - Videos und Materialien über die umfassende und tiefgreifende Manipulation von Wahlen und von menschlichem Verhalten durch böswillige Akteure. U.a. berichtet eine Autorin im dort verlinkten Podcast, wie scheinbare „Volksbewegungen“ in Indonesien und in Trinidad and Tobago gezielt von Cambridge Analytica im Auftrag politischer Akteure lanciert und gesteuert wurden.
Wann und wo in der Schule?
Wie und wann kann man die oben dokumentierten schädlichen Kräfte und Entwicklungen in der Schule thematisieren? Medienunterricht findet oft in der Unterstufe statt. Zu diesem Zeitpunkt sind die Schüler/innen noch zu jung, um gesellschaftliche oder politische Konsequenzen zu begreifen. Wenn sie dann älter sind und das Thema begreifen könnten, ist oft kein Medienunterricht mehr vorgesehen. Im Fachunterricht Deutsch, Politik, Geschichte oder Ethik wären thematisch sicher Anknüpfungspunkte vorhanden, ich bezweifle aber, dass aktuell in der Breite bei den Lehrer/innen die Expertise zu dem Thema vorhanden ist.
Wie also könnte man das kurzfristig lösen? Denn auf den nächsten Bildungsplan und die dann nachfolgenden Fortbildungen zu warten, wäre einerseits naiv (Medienbildung ist darin bisher zumindest in Baden-Württemberg eher ein Lippenbekenntnis) und andererseits wirken die destruktiven Kräfte schon heute. Auf der gesellschaftlichen Ebene sind sie im Begriff, ganze Nationen zu ruinieren. Auf der persönlichen Ebene gibt es schon heute im Schnitt in jeder Klasse einige Schüler/innen, deren Medienkonsum schwerwiegende persönliche und schulische Probleme verursacht. Man hat demnach keine zehn Jahre mehr Zeit, um mit dem Thema zu beginnen.
Fazit und Aufgabe
Die persönliche und gesellschaftlich-kulturelle Wirkung von digitalen Plattformen und Produkten ist ein Aspekt der Medienbildung, der bisher in der Schule zu wenig thematisiert wird.
Lehrer/innen, die in der Medienbildung aktiv sind, sollten sich möglichst bald damit auseinandersetzen und daran arbeiten, dass unsere Schüler/innen neben der technischen und anwendungsbezogenen Perspektive auch die langfristigen persönlichen Konsequenzen und die gesellschaftlich-kulturelle Wirkung digitaler Medien verstehen. Nur so können sie für die eigene psychische Gesundheit Sorge tragen und als baldige gesellschaftliche Akteure und wahlberechtigte Bürger/innen mithelfen, demokratische Strukturen zu bewahren.
Oder irre ich mich und diese Dinge werden schon landauf, landab im Unterricht besprochen – und ich habe nur nichts davon mitbekommen? Ich freue mich über Ideen und Rückmeldungen dazu.
Im Schweizer Lehrplan 21 ist das bereits drin und wird aktuell in den Schulen umgesetzt.
Danke für die Rückmeldung.
Das Dagstuhl-Dreieck kreist im Prinzip um einen technologischen Mittelpunkt. Daher gibt es mit dem Frankfurter Dreieck eine Weiterentwicklung, die aber auch deutlich komplexer und weniger eingängig ist: https://www.keine-bildung-ohne-medien.de/frankfurter-dreieck/ , dafür aber auch für nicht-technische Phänomene (z.B. soziale) der Digitalisierung gut passt.
In Niedersachsen sind die „dunklen Seiten“ auf dem Schirm – und auch in der KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ schon angelegt. Es gibt auch schon konkretes Material: https://www.nibis.de/medienethik—verantwortung-in-der-digitalen-welt_9796 – weil wir eine Medienethikerin im Hause haben.
Das Interesse der Schulen ist da, weil diese Themen auch bei sehr kritischen Kolleg*innen anschlussfähig sind. In den konkreten Unterricht kann ich leider nur sehr partiell hineinschauen und nur hoffen, dass auch bei Schüler*innen etwas von unserer Arbeit ankommt.
Danke für die Infos und das Material. Ich frage mich halt, wer das in welchen Fächern mit welcher Expertise unterrichtet …
Kreativ damit umgegangen kann man das hier in Niedersachsen im Rahmen von Wahlpflichtkursen oder im Rahmen des Seminarfaches machen. Oder man nutzt die unzähligen Vertretungsstunden mit einem dahinterliegenden Konzept. Oder eine AG … Oder als echtes Projekt in einer Projektwoche. Ein Fach benötigt man nicht zwingend – wäre aber schon schön. In Politik und Geschichte oder Werte und Normen könnte man sehr viel dazu machen – dafür müsste man an die Curricula ran.
Expertise ist da schon schwieriger. Aber es kommen sehr interessierte Lehrkräfte zu den Veranstaltungen und es gibt große Offenheit, die erste (Uni) und zweite (Seminar) Ausbildungsphase der Lehrkräfte mit so etwas aufzupimpen.
Zuerst steht ja die Erkenntnis, dass es gemacht werden muss. Danach finden sich auch Wege.
Habe ich Expertise? Wenn ja – woher kommt sie eigentlich?
Die dunkle Seite der Digitalisierung kommt auch auf dieser Webseite zu kurz. Instagram, Zoom … mit keinem der Dienstleister kann ich einen Vertrag zur Datenverarbeitung im Auftrag abschließen. Schulisch nicht einsetzbar!
Vielleicht würde es helfen, die entsprechenden Artikel zu lesen, bevor man hier – anonym – kritisch kommentiert.
Für Zoom haben wir einen Auftragsdatenverarbeitungsvertrag und bei Instagram posten erwachsene ehemalige Schüler/innen, es ist ein öffentliches Infoangebot, das freiwillig genutzt werden kann, aber nicht muss.