In Naturwissenschaft und Technik (NwT) unterrichte ich seit Jahren Lerngruppen im Projektunterricht. Die Zielsetzung des Faches ist es unter anderem, den Schülern eine Erfahrung zu ermöglichen, die in der heutigen Berufswelt – nach Allem, was ich weiß – Standard ist, in der Schule aber kaum vorkommt: Eine vorgegebene Aufgabe in einer festgelegten Zeit mit den vorhandenen Ressourcen (Menschen und Material) zu realisieren und dabei als Kleingruppe kreative Lösungsmöglichkeiten zu finden und umzusetzen.
Kontext
Aufgrund die naturwissenschaftlich-technischen Ausrichtung wird der Kern eines Projekts in der Regel von den Lehrern vorgegeben1. Es geht z.B. darum, neben den für Projekte charakteristischen Arbeitsmethoden und Kompetenzen auch die Grundlagen der Konstruktion von Bauwerken zu erlernen. Insofern muss natürlich sichergestellt werden, dass jede Gruppe auch ein vergleichbares Bauwerk konstruiert. Dennoch haben die Schüler meist weitreichende Freiheiten bei der konkreten Ausgestaltung der Aufgabe. Beispiele für solche Projektaufträge finden sich hier:
Benotung
Natürlich müssen die Schüler in NwT auch Noten bekommen (in der Mittelstufe ist das Fach im naturwissenschaftlichen Profil Hauptfach). Es werden normale Klassenarbeiten geschrieben, aber auch die Projektergebnisse benotet. Im folgenden Beitrag möchte ich mein Verfahren der Benotung vorstellen, da ich immer mal wieder danach gefragt werde und die mündliche Erklärung aufwendig ist.
Teilprodukte benoten
Ein Projektauftrag erfordert meist die Erstellung mehrerer Teilprodukte, z.B.
- ein Planungsdokument,
- das Protokoll eines Experiments,
- ein Poster, mit dem das Experiment der Gruppe vorgestellt wird,
- ein mündlicher Vortrag dazu,
- eine Konstruktion (hier z.B. eine Brücke),
- ein Abschlussvortrag,
- ein Artikel für die Schulwebsite.
Diese in der Gruppe erstellten Produkte benote ich einzeln. Für viele dieser Produkte habe ich mir inzwischen Kriterien überlegt, die ich jedesmal für eine bestimmte Produktkategorie anwende. Der Einfachheit halber versuche ich, die Kriterien immer in vier Blöcke zu gliedern, so dass ich stets nach dem selben Muster vorgehen kann. Das macht die Benotung für mich sehr effizient und bietet den Schülern dennoch ein recht hohes Maß an Transparenz und Feedback.
Für manche Produkte passen aber die vier Kriterienblöcke nicht. Diese bewerte ich dann eher holistisch und schreibe eine entsprechende verbale Begründung dazu (siehe unten, »Gesamtbewertung der Gruppenergebnisse«).
Das folgende Beispiel zeigt ein Bewertungsblatt für die Abschlusspräsentation der Gruppe »Newton«.
Gesamtbewertung der Gruppenergebnisse
Im Laufe des Projekts kommen so verschiedene Noten zusammen. Diese trage ich in ein Übersichtsdokument ein, in dem am Ende alle Teilergebnisse sowie das Gesamtergebnis der Gruppe notiert sind.
Hier das Beispiel der Gruppe »Lépaute«:
Man erkennt, dass bei einigen Produkten die Erläuterung der Note direkt im Feld »Begründung« steht, bei anderen jedoch »siehe Detailbegründung«. Die Detailbegründung ist jeweils ein Bewertungsblatt wie es im vorigen Abschnitt gezeigt wurde.
Differenzierung der Note innerhalb der Gruppe
Innerhalb einer Gruppe sind die Qualität der Beiträge, das Engagement, die Zuverlässigkeit und die Kooperationsbereitschaft der einzelnen Gruppenmitglieder in der Regel unterschiedlich. Das ist ein Grund dafür, dass eine differenzierte Note für jedes einzelne Gruppenmitglied pädagogisch sinnvoll erscheint. Ein anderer Grund, jedem im Team eine eigene Note zu machen, ist schlichtweg die rechtliche Vorgabe, dass keine pauschalen Gruppennoten vergeben werden dürfen.
Diese differenzierte Note stützt sich zum einen auf Beobachtungen und Gespräche, die man im Unterricht während der Arbeit machen und führen kann. Allerdings ist es meines Erachtens nur schwer möglich, dabei ein vollständiges Bild von den Leistungen der einzelnen Schüler zu erhalten. Daher hole ich von den Schülern selbst ebenfalls eine Einschätzung bezüglich ihrer eigenen Leistung und der Leistung ihrer Teammitglieder ein (so genannte »kommunikative Validierung« der Note).
Im Laufe der Jahre hat sich ein mehrstufiges Verfahren bewährt, das eine möglichst ehrliche und transparente Einschätzung sicherstellen soll (und meiner Erfahrung nach diesem Anspruch auch in recht gutem Maß gerecht wird).
Verfahren der kommunikativen Validierung
Wenn die Schüler das Projekt abgeschlossen und alle Produkte abgegeben haben, erhalten sie ein detailliertes Arbeitsblatt, das den Ablauf der Notendifferenzierung (noch einmal) erklärt2.
Schritt 1: Vor der Mitteilung der Note
Der erste Schritt folgt direkt auf die Abgabe des letzten Produkts: Jeder Schüler füllt zunächst einen Bogen zur Selbsteinschätzung aus. Dabei bewertet er die eigenen Beiträge zum Gesamtergebnis in den vier genannten Bereichen
- Qualität der Beiträge
- Engagement
- Zuverlässigkeit
- Kooperationsbereitschaft
Die Bewertung erfolgt mit Punkten, denn zu diesem Zeitpunkt steht die Gesamtnote noch nicht fest (in der Regel brauche ich einige Tage, um die zuletzt abgegebenen Produkte zu benoten). Diese frühe und »notenfreie« Einschätzung ist meines Erachtens wichtig und sinnvoll: Zum einen sind direkt nach dem Abschluss des Projekts die Erinnerungen an die Arbeit noch frisch. Zum Anderen fällt es den Schülern leichter, ehrlich zu sein, wenn die Einschätzung auf einer Punkteskala von 0 – 3 abgegeben wird. Besonders wichtig ist natürlich die Begründung der Einschätzung. Dabei bestehe ich auf Ausführlichkeit und konkrete Beispiele, da einige sonst hier gerne nichtssagende Phrasen schreiben.
Anschließend füllt jeder Schüler den selben Bogen zur Einschätzung seiner Gruppenmitglieder aus. Die Schüler wissen, dass sie ihre Einschätzungen anschließend im Gespräch mit der Gruppe »auf den Tisch legen« müssen und sind daher in der Regel fair und ehrlich.
Mit dem Ausfüllen dieser Bögen ist natürlich bereits eine erste Reflexion der Arbeit im Projekt verbunden. Diese Arbeitsphase dauert in der Regel zwischen 45 und 60 Minuten, wobei das Gespräch mit der Gruppe meist mindestens 15 Minuten in Anspruch nimmt.
In dieser Zeit spiele ich »Mäuschen« und versuche, aus der Ferne (meist in einer Ecke stehend) festzustellen, wie die Stimmung in den einzelnen Gruppen ist. Meist kann man bereits aus dem Arbeits- und dem Sozialverhalten der einzelnen Gruppen erahnen, welche Teams sich eher einig sein werden und in welchen Differenzen zu erwarten sind. Falls es Streit gibt, biete ich mich zur Schlichtung an und stütze mich dann ggf. auf meine eigenen Beobachtungen während der Projektphase.
Wenn sich die Gruppen einig sind, geben sie mir alle ausgefüllten Bögen zurück. Ich verwahre sie, bis das Gesamtergebnis fest steht.
Schritt 2: Nach der Mitteilung der Note
Wenn ich alle Produkte benotet habe, erhalten die Gruppen ihr Gesamtergebnis (siehe oben, »Gesamtbewertung der Gruppenergebnisse«).
Zu diesem Zeitpunkt habe ich basierend auf meinen Beobachtungen und Notizen während der Projektphase bereits eine Vorstellung davon, wie ich die Noten innerhalb der Gruppe differenzieren könnte.
Die Validierung meiner Eindrücke geschieht nun durch den zweiten Schritt der Schüler. Sie erhalten ihre Selbst- und Fremdeinschätzungsbögen zurück. Auf diesen stehen ihre im Gespräch abgeglichenen Einschätzung samt deren Begründung. Nun setzen sie sich wieder an einen Tisch, gehen diese Einschätzungen noch einmal durch und formulieren einen Vorschlag, wie die Gesamtnote innerhalb der Gruppe aufgeteilt werden könnte. Dabei gilt die Vorgabe, dass der Schnitt der Einzelnoten der Gesamtnote entsprechen muss.
Zur Orientierung bekommen die Schüler ein Musterblatt, damit sie wissen, wie ihr Vorschlag formuliert und begründet sein soll.
Die Gruppe gibt mir abschließend ihren von allen unterschriebenen Vorschlag ab. Ich vergleiche diesen mit meinen Eindrücken und gebe dann die endgültigen Noten für jeden Einzelnen. Dabei ist es wichtig, den Schülern klar zu sagen, dass sie sich nicht selbst benoten, sondern lediglich einen Vorschlag abgeben. Das ist auch aus rechtlicher Sicht von Bedeutung.
In manchen Fällen kann es vorkommen, dass die Regel »Schnitt der Einzelergebnisse = Gruppennote« nicht angewandt werden sollte. Zum Beispiel: In einer Gruppe mit vier Mitgliedern wurde das Gesamtergebnis mit »1« bewertet. Ein Gruppenmitglied hat jedoch kaum zum Ergebnis beigetragen hat, war faul, unzuverlässig und hat sich nicht kooperativ verhalten. Seine Leistung mit »sehr gut« zu bewerten wäre also völlig abwegig, nach der »Schnitt-gleich-Gruppennote«-Regel aber erforderlich. In diesem Fall weiche ich von dieser Regel ab und bewerte diese Einzelleistung so, wie ich sie unabhängig von der Gruppennote einschätze. Grundsätzlich kann man sagen, dass bei sehr guten oder sehr schlechten Gesamtnoten diese Abweichung von der o.g. Regel nötig sein kann, um den Einzelleistungen gerecht zu werden.
Endnote
Alle Gruppen erhalten am Ende ihre Einschätzungsbögen zusammen mit meinen endgültigen Einzelnoten zurück, so dass sie sehen können, ob ich mich ihrem Vorschlag angeschlossen habe oder nicht. Wenn ich abweiche, begründe ich das noch einmal kurz schriftlich.
Bezüglich der Arbeitshaltung kann man immer wieder beobachten, dass Schüler, die im ersten NwT-Jahr (Klasse 8) zunächst darauf spekulieren, sich auf der Arbeit der Teammitglieder auszuruhen, nach erfolgter »Quittung« in der Einzelnote im Folgejahr deutlich mehr Engagement zeigen. Wobei bei dieser Form der Projektarbeit meist eine weit überdurchschnittliche Motivation der Schüler zu beobachten ist, so dass solche »Toll-ein-anderer-machts«-Ausruher eher selten sind.
Darüber hinaus gibt es natürlich auch Gruppen, die sehr harmonisch am gemeinsamen Ziel arbeiten und die am Ende alle eine ähnliche oder gar die gleiche Note erhalten. Falls die Schüler dies vorschlagen, verlange ich allerdings eine besonders gründliche und detaillierte Begründung, weil dies auch gerne als konfliktvermeidende Ausflucht genutzt wird.
Reflexion
Nach jedem Projekt erfolgt außerdem eine Reflexion darüber, was jeder Einzelne und was die Gruppe als Ganzes beim Projekt gelernt hat und was bei künftigen Projekten verbessert werden sollte.
Streiten
Wenn ich die Schüler in anonymen Feedbackrunden frage, wie sie dieses Verfahren einschätzen, haben sie in der Regel gemischte Gefühle: Einerseits ist es ihnen wichtig, dass jeder eine Note erhält, die dem individuellen Beitrag zum Projektergebnis entspricht. Andererseits mögen sie natürlich die Situation nicht, sich gegenseitig offen kritisieren zu müssen. Wenn sie könnten, würden sie die dabei potentiell auftretenden Konflikte gerne vermeiden. Um diesem Unbehagen zu begegnen, thematisieren wir den Umgang mit den verschiedenen Meinungen innerhalb der Gruppe schon früh im Projekt: Gute Zusammenarbeit in der Gruppe.
Ich persönlich halte es jedoch für wichtig, sich solchen Konflikten auszusetzen und zu lernen, damit umzugehen. Bisher gab es noch nie eine Eskalation und am Ende der Klasse zehn (nach drei Jahren NwT) melden viele Schüler zurück, dass sie durch dieses Verfahren besser darin geworden sind, offen und sachlich zu kritisieren.
Fazit
Das vorgestellte Verfahren habe ich inzwischen viele Male durchgeführt und dabei gute Erfahrungen gemacht: In der Regel kommen Noten dabei heraus, die sowohl von den Schüler als auch von mir als angemessen empfunden werden. In den allermeisten Fällen stimmt der Notenvorschlag der Schüler erstaunlich genau mit meinem eigenen Eindruck überein.
Das Verfahren ist zwar zeitaufwendig, da es aber in unserem Fall nur ein Mal pro Halbjahr, am Ende einer Projektphase, durchgeführt wird, ist das vertretbar. Außerdem würdigt dieser Aufwand auch das in der Regel sehr hohe Engagement, das die Schüler bei der Arbeit an ihrem Projekt zeigen. Kaum etwas wäre wohl demotivierender, als der Eindruck, dass nach Wochen oder gar Monaten der engagierten Arbeit »mal eben schnell« eine Note gemacht wird, die man nicht nachvollziehen kann.
1 Das ist meines Erachtens ein Unterschied zum project-based learning (PBL), wie es seit einiger Zeit v.a. aus den USA von einigen Institutionen propagiert wird. Dort steht eine driving question im Vordergrund, die den Schülern eine sehr große Freiheit bei der Auswahl des zu bearbeitenden Themas oder gar der zu bearbeitenden Aufgabe lässt.
2 Ich erläutere das Verfahren auch schon zu Beginn des Projekts, damit allen klar ist, dass die Gruppe keine einheitliche Note erhält. Erfahrungsgemäß kommt die Erläuterung des Verfahrens aber erst dann richtig an, wenn die Bewertung konkret ansteht.
Das erscheint mir ein super Ansatz, vor allem was die Einbeziehung der SuS in die Notenfindung angeht und die Transparenz der Kriterien, nach denen diese stattfindet. Dadurch wird mit Sicherheit Eigenverantwortung und Selbstreflexion gestärkt.
Ich versuche das in meinen (kleineren und kürzeren) Projekten auch immer einmal mit Selbsteinschätzungen zur Mitarbeit und Kompetenzrastern zu Erwartungen an Ergebnissen, z.B. bei Präsentationen mit Postern.
Da dies aber auch immer Vorbereitungsaufwand ist und ich noch nicht jahrelange Routine in einem bestimmten Kurs habe, sondern jetzt gerade zum ersten mal einen Physik-Kurs im zweiten Durchlauf unterrichte und sonst bisher nur Wechsel hatte, fehlen mir da noch Kontinuitäten, um an Dokumenten und Konzepten zu feilen.
Vielen Dank für die inspirierenden Überlegungen,
Hauke Morisse
Danke für die Rückmeldung. Freut mich, wenn der Artikel nützlich ist.